Neurofibromatose - Was ist das?
Diagnose Neurofibromatose - Was nun?
Sie haben die frische Diagnose Neurofibromatose (NF) für sich oder für ihr Kind und noch keine adäquate ärztliche Unterstützung gefunden? Dr. Said Farschschi hat die wichtigsten Fragen beantwortet, die sich in dieser Situation stellen:
Wenn diese Verdachtsdiagnose erstmal im Raum steht – sei es NF1, NF2 oder Schwannomatose – sorgt das für unglaublich viel Verunsicherung. Da kommen ganz viele Gefühle auf einmal zusammen. Da ist einmal die Sorge um das Kind oder um einen selbst, je nachdem, wen es betrifft, und eben auch zunächst ein unglaublicher Mangel an Information.
Viele versuchen, diesen erstmal zu stillen, indem sie im Internet googeln und dann durch die Selektion der Suchergebnisse vor allem falsche oder bedrohliche Informationen erhalten und die Sorge dann noch mehr verstärkt wird.
Wir beobachten seit Jahrzehnten das Problem, dass es wenig Strukturierung und Leitung dieser Informationen gibt. Das liegt zum einen daran, dass die Neurofibromatose eine seltene Erkrankung ist und damit aus dem Fokus der medizinischen Versorgung herausfällt – dabei ist „selten“ relativ, jedes 3000ste Kind ist betroffen, eine ähnliche Größenordnung wie auch bei Trisomie 21.
Ein weiterer Faktor ist, dass diese Erkrankung sehr vielschichtig ist und dass es auch sehr wenige Ärzte gibt, die sich umfassend mit diesem Erkrankungsbild beschäftigen. Oft ist es so, dass entweder nur einzelne Aspekte der Krankheit betrachtet werden oder gar keine Kenntnisse über NF vorhanden sind und das wiederum sorgt für Verunsicherung.
Der Bundesverband Neurofibromatose ist eine sehr wichtige erste Anlaufstelle, um einen ersten Überblick über die relevante Anlaufstellen und Behandlungsmöglichkeiten zu bekommen.
Auf unserer Website haben wir diese wichtigen ersten Informationen bestmöglich gebündelt, um den Einstieg in die Thematik und die Suche nach kompetenten Anlaufstellen zu erleichtern.
Der Bundesverband Neurofibromatose ist so strukturiert, dass es neben dem bundesweiten Angebot auch Regionalgruppen gibt, um einen leichten Einstieg in die Thematik und einen persönlichen Austausch zu ermöglichen.
Nicht unbedingt: Sobald die Diagnose NF und auch vielleicht spezifische Probleme im Raum stehen, ist es natürlich sinnvoll, einen Arzt oder eine medizinische Einrichtung aufzusuchen, die sich speziell mit diesem Krankheitsbild beschäftigt, weil viele Themen sehr speziell sind und nicht vergleichbar sind mit vielleicht ähnlichen Symptomen anderer Krankheitsbilder.
Sehr häufig steht diese Diagnose aber auch unbegründet im Raum, z.B. wenn nur einzelne Symptome bestehen. Oftmals hat ein Kind einen einzelnen Café-au-Lait-Fleck und ein Behandler oder vielleicht ein Bekannter hat diesen Verdacht in den Raum gestellt. Vielleicht haben die Eltern auch selbst im Internet nachgesehen und sind auf diese Diagnose gestoßen.
Grundsätzlich sollte man sich nicht aufgrund solcher isolierten Merkmale beunruhigen lassen. Neurofibromatose ist genetisch bedingt und damit eine chronische Diagnose, selten aber stellt sie ein akutes Problem oder gar eine unmittelbare Bedrohung dar.
In diesem Sinne ist es manchmal sehr sinnvoll, einfach abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Und gerade, wenn die Entwicklung ansonsten sehr gut verläuft, also keine Entwicklungsstörungen und keine motorischen Auffälligkeiten beim Kind bestehen, die Vorsorgeuntersuchungen beim Kinderarzt keine medizinischen Auffälligkeiten zeigen, gibt es eigentlich keinen dringenden Grund, sich in einem spezialisierten Zentrum vorzustellen; außer eben, um vielleicht die Sorge loszuwerden.
In den letzten Jahren haben wir ein enges Netz an NF-Zentren geschaffen - eine große Errungenschaft in Bezug auf die Seltenheit, aber auch die besonderen Herausforderungen dieser Erkrankungsgruppe. Wir sind innerhalb von Deutschland, aber auch über die Ländergrenzen hinweg, mittlerweile auch wissenschaftlich gut vernetzt.
Wichtig zu wissen: es besteht keine Konkurrenzsituation zwischen ambulanten Behandlern, Hausärzten, Kinderärzten und den NF-Zentren. Eine Hand-in-Hand-Strategie ist im Sinne der Patienten enorm wichtig. Dabei werden diese Erkrankungen zusammen mit den ambulanten Behandlern in sehr engem Austausch betreut.
Die Aufgabe der NF-Zentren liegt dabei darin, die Diagnose zu stellen, therapeutische Weichenstellungen vorzunehmen oder kritische Entscheidungen abzuwägen, vielleicht sogar auch neue Behandlungsmöglichkeiten im Rahmen von Studien oder individuellen Behandlungsversuchen zu erläutern.
Die engmaschige ambulante Betreuung außerhalb der Zentren ist enorm wichtig, denn meist sehen wir unsere Patienten mit Neurofibromatose in den Zentren alle 1-2 Jahre - zu selten also für die alltägliche medizinische Betreuung.
Es ist darüber hinaus notwendig, dass, z.B. vorliegende Entwicklungsstörungen bei Kindern auch im ambulanten Rahmen durch Verordnung von Krankengymnastik, von Fördermaßnahmen oder Förderprogrammen kompensiert werden und dass engmaschig auch andere Untersuchungen stattfinden, wie zum Beispiel bei Kleinkindern die U-Untersuchungen oder Folgeuntersuchungen bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen.
Das setzt eine sehr offene und strukturierte Kommunikation zwischen NF-Zentren und ambulanten Behandlern voraus. Auch da will der Bundesverband eine entscheidende Schnittstelle sein und relevante Informationen an alle Betroffenen aber auch an alle Behandler vermitteln.
In früheren Zeiten gab es noch sehr viel Unsicherheit bezüglich der seltenen Erkrankung Neurofibromatose und es war sehr schwierig, passende ärztliche Unterstützung zu finden.
Die Bildung von NF-Zentren entsprang der Initiative von Menschen, die sich früh für diese Erkrankung interessiert und versucht haben, strukturierte Behandlungsprogramme aufzulegen, lange bevor der komplexe Versorgungsbedarf dieser Erkrankungen durch das Gesundheitssystem erkannt wurde.
Es gibt kein einheitliches Fachgebiet für diese Erkrankungen. In Hamburg zum Beispiel arbeiten wir als Neurologen, Neurochirurgen, Kinderärzte und Genetiker zusammen. Was uns eint, ist dieses Interesse, eine umfassende interdisziplinäre Versorgungsstruktur zu entwickeln, die nie aus einem einzelnen Fachgebiet heraus funktionieren kann.
Prof. Mautner hat in Hamburg über viele Jahrzehnte hinweg die NF-Ambulanz aufgebaut und zahllose Standards in der Behandlung der NF gesetzt. Er hat eine sehr feinteilig verzahnte Struktur auf den Weg gebracht, in der gemeinsam mit HNO-Ärzten, Augenärzten, Kinderärzten, Radiologen, Nuklearmedizinern und vielen mehr ein systematisches Versorgungs- und Behandlungskonzept entwickelt wurde, das mittlerweile auch als Blaupause für das klassische NF-Zentrum gilt.
Wir haben in den letzten Jahren – auch mit Blick auf die anstehenden Veränderungen – versucht, diese Struktur nochmal auf breitere Füße zu stellen und haben zum Beispiel eine tagesklinische Struktur beantragt, um diesem erhöhten Versorgungsbedarf auch im Hinblick auf neue Therapiemöglichkeiten gerecht zu werden. Dies gilt für alle Neurofibromatosen, also Typ 1, Typ 2 und die Schwannomatose.
Ich möchte darauf hinweisen, dass es jetzt in Europa, also auch in Deutschland, seit Kurzem eine Behandlungsmöglichkeit für einen speziellen Tumortyp bei Neurofibromatose 1, für plexiforme Neurofibrome bei Kindern, gibt. Diesen Anforderungen, diesen Neuerungen wollen wir Rechnung tragen, indem alle infrastrukturellen Möglichkeiten einer großen Uniklinik genutzt werden können.
Die Verzahnung mit anderen Behandlern ist jedoch sehr wichtig, um eine breitere deutschlandweite Versorgung zu gewährleisten. Dazu tauschen wir uns seit vielen Jahren regelmäßig mit interessierten Ärzten in kleineren Einrichtungen aus, die Anlaufstellen für Betroffene vor Ort geschaffen haben, um die Anlaufwege für Patienten oder Verdachtsfälle möglichst gering zu halten oder neue Ebenen der Versorgung – z.B. spezifische Rehabilitation – zu erschließen.
Ganz wichtig ist es, zu erkennen, dass man nicht allein ist, auch wenn sich das vielleicht im ersten Moment so anfühlt.
Die wenigsten haben vorher von Neurofibromatose gehört oder kennen jemanden mit NF aus ihrem direkten persönlichen Umfeld.
Durch die ökonomischen Zwänge im Gesundheitswesen sind die Behandlungszeiten bei Ärzten oft relativ kurz geworden. Dadurch entsteht bei den Patienten oft das Gefühl, nicht alle Fragen loszuwerden. Das wollen wir mit dem Bundesverband Neurofibromatose auffangen und Möglichkeiten bieten, grundsätzliche Informationen und Anlaufstellen zu vermitteln.
Aus ärztlicher Sicht kann man sagen, dass 'optimale Behandlung‘ immer ein schwieriger Begriff ist, weil es meist einen relativ breiten Korridor gibt, in dem Entscheidungen hinsichtlich Diagnostik und Behandlung vertretbar sind. Und dieser Korridor wird noch einmal breiter, wenn man von chronischen Erkrankungen spricht.
Es gibt nicht „die eine richtige Entscheidung“, sondern es ist ein riesiges Puzzle aus winzigen Bausteinen an Entscheidungen, Therapiemaßnahmen und Risikoeinschätzungen. Vieles zeigt sich auch oft erst im Verlauf.
In meinen Augen ist es wichtig, alles zu tun, um die Erkrankung besser zu verstehen und so bessere Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln - ohne die individuellen Bedürfnisse der Patienten aus den Augen zu verlieren.
Die einen fühlen sich womöglich wohler, eine möglichst hohe diagnostische Sicherheit zu haben und nehmen dafür viele Untersuchungen in Kauf. Andere wägen Risiken anders ab und möchten nur untersuchen, was unmittelbar nötig ist.
Eine derartige Betreuung ist nicht durch eine Maßnahme alleine oder durch ein Zentrum alleine zu stemmen, sondern wir brauchen viele helfende Hände, die dieses Konzept weiterentwickeln.
Ich erlebe es immer wieder, dass es ganz wichtig für NF-Patienten ist, dass sie nicht das Gefühl bekommen, etwas falsch zu machen oder irgendetwas verpasst zu haben.
Neurofibromatose als Erkrankung hat ihre ganz eigene Dynamik. Da ist auch nicht jeder NF-Fall wie der andere. Es gibt Fälle, die verlaufen ein Leben lang sehr leicht und es gibt Fälle, bei denen sehr komplexe Komplikationen auftreten.
Was wir bieten möchten, ist ein sehr breiter Ansatz über Fächergrenzen hinweg, über Behandlungsmodi hinweg – stationär und ambulant –, um diese Probleme möglichst früh aufzugreifen und breit anzugehen.
PD Dr. Said Farschtschi
ist Vorsitzender des Bundesverbands Neurofibromatose e.V. und Leiter der Neurofibromatose-Ambulanz und Tagesklinik des UKE Hamburg Eppendorf.
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Eine Krankheit mit vielen Gesichtern
Neurofibromatose umfasst sehr unterschiedliche Krankheitsbilder, die relativ selten auftreten und daher vergleichsweise unbekannt sind. Im deutschsprachigen Raum kommt jeden Tag ein Kind mit Neurofibromatose zur Welt. In Deutschland sind nach Expertenschätzungen bis zu 40 000 Menschen betroffen.
Die hohe Symptomvielfalt ist einer der Gründe, warum Ärzte die seltene Krankheit oft nicht erkennen. Ausprägungsgrad und Krankheitsverlauf variieren von Patient zu Patient sehr stark.
Die gute Nachricht: etwa 70 Prozent der Menschen mit Neurofibromatose weisen über ihr gesamtes Leben kaum gesundheitliche Probleme auf.
20 Prozent der NF-Patienten haben milde und beherrschbare Symptome, schwerere Verläufe weisen nur 10 Prozent auf. Die Lebenserwartung der Patienten ist jedoch in der Regel nicht beeinträchtigt. Wichtig ist – gerade bei Kindern - eine frühzeitige Diagnostik, um sie in ihrer Entwicklung bestmöglich zu unterstützen.
Ausführliche Informationen zu den Typen der NF
Medizinisch unterscheidet man die Neurofibromatose Typ 1 (NF1), die noch seltenere NF2-bedingte Schwannomatose (NF2) und die nicht NF2-bedingte Schwannomatose.
Alle gehören zum Formenkreis der sogenannten neuro-kutanen Syndrome. Charakteristisch sind gutartige Tumorbildungen im Nervensystem.
Neurofibromatose ist zu 50% genetisch bedingt (über ein Elternteil vererbt). Bei der anderen Hälfte entsteht sie durch sogenannte Spontanmutationen. Das Risiko hierfür ist bei allen Menschen gleich hoch.
Mehr Detailinformationen zu den Erkrankungsformen finden Sie über die Buttons auf der linken Seite.
Von der Neurofibromatose zu unterscheiden ist das NF-ähnliche Legius-Syndrom. Mehr Informationen darüber erhalten Sie über den Button links.
Genetik und vorgeburtliche Früherkennung
Besonders für werdende Eltern, in deren Familie NF bereits aufgetreten ist, steht die Frage einer möglichen Vererbung im Raum.
Die genetischen Hintergründe der Neurofibromatose und Möglichkeiten einer genetischen Diagnostik vor der Geburt sind wichtige Informationen zur Einschätzung der Situation.
Es gibt unterschiedliche Methoden, beim Fötus spezifische Veränderungen des Erbmaterials festzustellen. Sie sollten im Rahmen einer ausführlichen genetischen Beratung erörtert werden.
Häufige Fragen zur Neurofibromatose
Prof. Dr. Mautner antwortet
Obwohl Neurofibromatosen mindestens genauso häufig auftreten wie das Down-Syndrom, sind die Neurofibromatosen Typ 1 und Typ 2 (NF1 und NF2) im Bewusstsein der Ärzte und der Öffentlichkeit viel weniger gut verankert, weil es sich um Erkrankungen mit vielen "Gesichtern" (Symptomen) handelt, die in ihrem Auftreten sehr variabel sind.
Vom Verdacht auf eine Neurofibromatose, der beim Vorliegen vieler Café-au-Lait-Flecken gegeben ist, bis zum Auftreten des häufigen Zweitsymptoms, den "Sommersprossen" in den Achselhöhlen, vergehen meist einige Jahre. Somit bedarf es in diesem Zeitraum der Überwachung des Kindes auf alle möglichen assoziierten Merkmale, die bisher allerdings noch unzureichend im Bewusstsein der Ärzte gegenwärtig sind.
Schließlich gibt es eine Vielzahl von Patienten, bei denen die Diagnose erst gestellt wird, wenn ernsthafte Probleme auftreten.
NF1 und NF2 sind in der Regel durch das Auftreten von altersgebundenen Symptomen charakterisiert:
In der Kindheit findet sich eine allgemeine oder eine teilweise Entwicklungsverzögerung, motorische Bewegungsabläufe wirken schwerfällig (tapsig) und umständlich, Gleichgewichtsstörungen können z.B. beim Erlernen des Fahrradfahrens auffallen.
Häufig haben die Kinder Schwierigkeiten, gedanklich vorbereitete Vorgänge in praktische Handlungen umzusetzen. Lernstörungen werden bei bis zu 50% der Kinder mit NF beobachtet. Dem gegenüber spielen Tumorbildungen im Bereich des Sehnervs (Optikusgliom), Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose) oder Falschgelenkbildung (Pseudarthrose) zahlenmäßig eine relativ untergeordnete Rolle, wenngleich diese Veränderungen schwerwiegender sein können.
Im Jugend- und Erwachsenenalter sind die herausragenden Symptome zweifellos Neurofibrome der Haut. Daher wurde früher auch der Begriff der "peripheren Verlaufsform" benutzt, weil NF1 durch Tumorbildung der peripheren Nerven gekennzeichnet ist. Allerdings ist diese Bezeichnung nicht korrekt, da NF1-Betroffene sowohl im Kindes- und Jugend- als auch im Erwachsenenalter Tumorbildungen auch im Bereich des zentralen Nervensystems aufweisen können (Wirbelsäule und Gehirn).
NF2 ist dagegen durch das Auftreten von Tumoren im zentralen Nervensystem geprägt. Kinder mit NF2 weisen häufig als Erstsymptome Schwannome der Haut sowie ophthalmologische Symptome (Fehlsichtigkeit und Schielen) auf. Etwa zwischen dem 10. und 25. Lebensjahr treten klinische Beschwerden durch Tumorbildung im Bereich der Hörnerven wie etwa Schwindel, Gleichgewichtsstörungen oder Hörbeeinträchtigung auf.
Neurofibromatose Typ 1 ist eine bisher in ihrem Verlauf nicht vorhersehbare Erkrankung. Dies ist für die Betroffenen und deren Angehörige eine große Herausforderung und Belastung.
Es gibt zweifellos eine Vielzahl von Menschen, die die genetische Veränderung des NF1-Gens aufweisen, ohne dass wesentliche gesundheitliche Einschränkungen auftreten. Man kann sagen, dass etwa 70% der Betroffenen keine gravierenden gesundheitlichen Probleme haben, 20% beherrschbare gesundheitliche Probleme aufweisen und 10% nicht erfolgreich zu behandeln sind.
Lernschwierigkeiten und motorische Defizite sind für Kinder und deren Familien die häufigsten Belastungsfaktoren. Dagegen treten Tumoren im Bereich der Sehbahn, plexiforme Neurofibrome oder eine Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung) insgesamt seltener auf, sie können jedoch für den Betroffenen eine wesentlich größere Bedeutung haben. Im Erwachsenenalter ist das Wachstum von Neurofibromen der Haut der häufigste Belastungsfaktor.
Für Neurofibromatose Typ 2 gilt, dass sich in der Regel klinische Symptome erst nach der Pubertät zeigen, wenn erste Beschwerden aufgrund des langsamen Wachstums der Hörnerv-Tumoren auftreten.
Für NF2-Betroffene sind zweifellos die vielen Tumoren im Bereich des Gehirns und der Wirbelsäule, die zur Ertaubung, Verlust von Hirnnervenfunktionen und Querschnittslähmung führen können, und die damit verbundenen wiederholten Operationen die wesentlichen Belastungsfaktoren.
Die Erkrankung tritt mit einer Häufigkeit von etwa 1 : 3.000 bis 1 : 4.000 auf. Das heißt, dass in der Bevölkerung jedes 3000. bis 4000. Kind ein so genannter Träger der genetischen Fehlinformation ist.
Wenn ein Elternteil diese Fehlinformation aufweist, besteht ein 50%iges Risiko, diese zu vererben. Laut einer kürzlich in Deutschland durchgeführten Studie tritt die genetische Fehlinformation (NF1) mit einer Häufigkeit von 1:2900 auf.
Als wahrscheinlichste Ursache für dieses Phänomen wird heute das Bestehen von genetischen Interaktionen angesehen.
Dies bedeutet, dass die eigentliche genetische Fehlinformation (Mutation auf dem Chromosom 17 für NF1) in ihrer Funktion durch andere genetische Informationen verändert werden kann.
Darüber hinaus wird bei NF1 und NF2 auch eine so genannte Mosaikbildung beobachtet: hier tritt die genetische Fehlinformation nicht in allen Körperzellen auf. Wenn nur ein geringer Teil der Körperzellen betroffen ist, können die Anzeichen der Erkrankung ebenfalls nur gering ausgeprägt sein.
Ein erhöhtes Risiko bezüglich einer Schwangerschaft besteht für eine von NF1 bzw. NF2 betroffene Frau im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung nicht.
Eine etwas höhere Rate an Fehlgeburten ist jedoch nicht auszuschließen. Selten kann die Schwangerschaft durch Tumorbildung im kleinen Becken (Unterleib) kompliziert werden, wenn hier bereits vor Schwangerschaftsbeginn ein Neurofibromwachstum nachweisbar ist.
Ein weiterer Belastungsfaktor für die Schwangere ist das möglicherweise verstärkte Auftreten von Neurofibromen der Haut.
Neurofibrome können in aller Regel durch sorgfältige kosmetisch-plastische Intervention unter geringer Narbenbildung entfernt werden. Dies gilt teilweise auch für die so genannten plexiformen Neurofibrome, die jedoch bei infiltrativem, d.h. tief nach innen dringendem Wachstum nur bedingt organerhaltend operabel sind.
Komplikationen wie beispielsweise Skoliose, Optikusgliome oder Tumoren der Nebenniere müssen von Ärzten der jeweiligen Fachdisziplinen operativ oder mit geeigneten anderen Maßnahmen behandelt werden.
Neurofibromatose-Betroffene weisen nicht nur körperliche Symptome auf, viele Kinder und Jugendliche leiden auch an Lernschwierigkeiten, psychomotorischen Entwicklungsverzögerungen und/oder am so genannten Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS/ADHD).
Am Anfang der Behandlung einer solchen Störung steht deren Definition, Einschätzung sowie Einordnung.
Hat das Kind eine so genannte globale Entwicklungsverzögerung? In diesem Fall sind nicht nur die Meilensteine der körperlichen Entwicklung verzögert, sondern auch der mentale Entwicklungsstand. Handelt es sich wirklich um ein Reifungsdefizit? Welche intellektuellen Kapazitäten hat ein Kind? Welche positiven Eigenschaften und Fähigkeiten sind zu beobachten? Liegt auch eine Störung im sprachlichen Bereich vor? Besteht eine so genannte Aufmerksamkeitsstörung?
Wenn diese Fragen ausreichend beantwortet sind, kann eine diagnostische Einschätzung erfolgen und es lassen sich entsprechende Therapien zuordnen.
Ergotherapie, Psychomotoriktraining und/oder Krankengymnastik sind Wege, um die Vernetzung von Abläufen im Gehirn zu den ausführenden Organen zu verbessern. Sportliches Training wie Trampolinspringen und Hantelarbeit sind zur Aktivierung der Muskulatur bei mangelnder Muskelanspannung (Muskelhypotonie) hilfreich. Logopädie zum Training des Sprachvermögens ist sinnvoll.
Aufmerksamkeitsstörungen können mit Verhaltenstraining oder Stimulanzientherapie behandelt werden.
Neurofibromatose-Forschung spielt sich heute auf diversen Gebieten, Ebenen und in Zusammenarbeit verschiedenster Fachrichtungen ab.
Klinische Symptome und deren Entwicklung sind nur zu verstehen, wenn die Ergebnisse der Untersuchung großer Patientengruppen zusammengeführt werden. Dies geschieht momentan in großen internationalen Studien.
Ein Beispiel ist die Erfassung des Wachstumsverhaltens der plexiformen Neurofibrome, die über viele Jahre hinweg radiologoisch vermessen werden. Dies gilt auch für die Akustikusneurinome, die in ihrem Wachstum seit einigen Jahren dokumentiert werden.
Studien dieser Art sind die Grundlage für die Durchführung von Medikamentenstudien, weil in diesen erstmalig der natürliche Wachstumsprozess der Tumoren quantitativ erfasst wird. Derzeit wird beispielsweise in den USA die Wirksamkeit von zwei medikamentösen Substanzen zur Behandlung von plexiformen Neurofibromen überprüft.
Von genetischer Seite wird weiterhin daran gearbeitet, die genetischen Veränderungen im NF1- und NF2-Gen vollständig zu erfassen und mit der klinischen Ausprägung der Merkmale in Beziehung zu setzen. Schließlich spielen die Bemühungen, die genetische Diagnostik zu verbessern und effizienter zu gestalten, weiterhin eine große Rolle.
Zellbiologische Untersuchungen haben sowohl bei NF1 als auch bei NF2 einen festen Platz gefunden. Diese erlauben die Untersuchung des Zusammenspiels der verschiedenen Zelltypen, deren Abnormitäten sowie die Überprüfung von medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten. Von biochemischer Seite geht es darum, die Funktion des NF1- und NF2-Gens und damit auch die Genprodukte besser zu verstehen.
Die zur Verfügung stehenden Therapieansätze beziehen sich jeweils auf die Einzelsymptome einer Neurofibromatose. Die Behandlungsmöglichkeiten sind heute noch immer in aller Regel chirurgischer Natur.
Die einzige überzeugende und überprüfte wirksame medikamentöse Therapie bezieht sich auf das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit Stimulanzien im Kindesalter.
Medikamentöse Therapieansätze werden derzeit für Patienten mit plexiformen Neurofibromen im Kindes- und Erwachsenenalter geprüft.
Kausale Therapien, d.h. solche, die die Erkrankung "an der Wurzel des Übels" ergreifen, sind erwogen worden. Wann diese zur Überprüfung kommen, lässt sich derzeit nicht mit Sicherheit sagen. Beispielsweise ist eine Methode zur Korrektur der genetischen Fehlinformation bei NF1 und NF2 als schlüssiger Therapieansatz in Erprobung, jedoch bedarf es einer weiteren Verbesserung der Methode, um die erhofften Behandlungserfolge zu erreich
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Prof. Dr. Viktor Felix Mautner ist
Ehrenvorsitzender des Bundesverbands Neurofibromatose