Neurofibromatose Genetik
Vererbung der Neurofibromatose
Die Neurofibromatose (Typ 1 und 2) ist eine monogene Erkrankung.
Während bei der Neurofibromatose Typ 1 (NF1) Genveränderungen auf dem Chromosom 17 vorliegen, ist bei Neurofibromatose Typ 2 (NF2) hingegen das Chromosom 22 verändert.
Beide Formen der Neurofibromatose werden autosomal-dominant vererbt. Autosomal bedeutet, dass beide Geschlechter gleich häufig betroffen sind. Dominant bedeutet, dass bereits die Veränderung einer der beiden elterlichen Erbanlagen zum Krankheitsausbruch führt. Deshalb beträgt das Wiederholungsrisiko für Kinder von Betroffenen unabhängig vom Geschlecht 50%.
Neurofibromatose Typ 1 und Typ 2 werden durch Veränderungen (Mutationen) in den Erbanlagen (Genen) NF1 bzw. NF2 verursacht. Es gibt verschiedene Mutationstypen, welche die Funktionsfähigkeit dieser Gene in unterschiedlichem Ausmaß beeinträchtigen. So können z.B. einzelne Elemente der Erbinformation (Nukleotide) ausgetauscht sein (Punktmutation) oder unterschiedlich große Bereiche verloren gehen (Deletionen) oder verändert sein. Funktionsbeeinträchtigende Veränderungen der NF-Gene führen praktisch immer zu Symptomen der jeweiligen Form der Neurofibromatose (vollständige Penetranz). Allerdings kann die Ausprägung von kaum sichtbar bis schwerwiegend variieren (variable Expressivität). Theoretisch wäre zu erwarten, dass sich die Krankheit umso stärker und früher ausprägt, je stärker die Funktion des Gens beeinträchtigt wird. Allerdings beeinflussen weitere genetische und nichtgenetische Faktoren die Krankheitsausprägung, wodurch diese i.d.R. sehr variabel sein kann. Dadurch ist es möglich, dass ein von der Neurofibromatose nur leicht betroffener Elternteil ein schwerer betroffenes Kind bekommen kann und umgekehrt. Die meist schwer vorhersagbare Krankheitsausprägung macht die Entscheidung für oder gegen eine vorgeburtliche Diagnostik im Hinblick auf die Neurofibromatose für ratsuchende Eltern oft besonders schwer.

Genetische Beratung
Jeder wünscht sich ein gesundes Kind. Dieser Wunsch geht für die meisten Eltern in Erfüllung, denn nur ca. 5% aller Neugeborenen kommen mit schwerwiegenderen Fehlbildungen oder Erkrankungen zur Welt.
Wenn bei einem Elternteil bereits eine erbliche Erkrankung wie z.B. Neurofibromatose bekannt ist, addiert sich jedoch zu dem sog. Basisrisiko von ca. 5% das statistische Wiederholungsrisiko für die jeweilige erbliche Erkrankung hinzu.
Ziel der vorgeburtlichen genetischen Diagnostik ist es zu überprüfen, ob beim Feten bestimmte Veränderungen des Erbmaterials vorliegen oder nicht. Die präkonzeptionelle Diagnostik hat hingegen zum Ziel, unter künstlich befruchteten Eizellen diejenigen auszuwählen, die den familiären genetischen Defekt (einer Erbkrankheit oder Chromosomenstörung) nicht tragen, um eine Fehl- oder Totgeburt oder die Geburt eines betroffenen Kindes zu vermeiden.
Vorgeburtliche genetische Diagnostik kann zum einen gezielt im Hinblick auf Neurofibromatose (oder eine andere in der Familie vorkommende Erbkrankheit) erfolgen. Zum anderen werden vorgeburtliche Untersuchungen angeboten, um verschiedene häufigere fetale Erkrankungen, z.B. Chromosomenstörungen, frühzeitig zu entdecken.
Grund (Indikation) für eine vorgeburtliche genetische Diagnostik kann sowohl ein erhöhtes (statistisches) Risiko für eine Chromosomenstörung als auch für eine in der Familie bekannte genetische Erkrankung sein. Erfolgt eine molekulargenetische Untersuchung nach invasiver Entnahmetechnik wegen einer bekannten monogenen Erkrankung in der Familie wie z.B. Neurofibromatose, wird der Schwangeren i.d.R. parallel auch eine Chromosomenanalyse an dem entnommenen Material angeboten. Auch auffällige Vorbefunde oder der Wunsch der Eltern können Anlass zur vorgeburtlichen genetischen Diagnostik sein. Grundsätzlich gilt, dass die statistische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer medizinisch relevanten Erkrankung des Feten höher sein sollte als das mit einer invasiven Entnahmetechnik verbundene Eingriffsrisiko.
Zur Entscheidungsfindung für oder gegen eine vorgeburtliche/präkonzeptionelle Diagnostik, für die Auswahl des Entnahme- und Untersuchungsverfahrens sowie für die Abwägung möglicher Konsequenzen empfehlen sich sowohl ausführliche Gespräche mit den betreuenden Fachärzten als auch eine genetische Beratung durch einen Facharzt für Humangenetik. Im Rahmen der genetischen Beratung werden u.a. die Möglichkeiten, Grenzen und Risiken der verfügbaren Untersuchungsmethoden erläutert, aber auch Alternativen (Recht auf Nicht-Wissen, Adoption, Verzicht auf Kinder etc.) aufgezeigt. Am Ende sind die Entscheidung für oder gegen eine vorgeburtliche/präkonzeptionelle Diagnostik, die Wahl der Untersuchungsmethode wie auch die aus dem Untersuchungsergebnis abgeleiteten Konsequenzen immer eine höchst individuelle Entscheidung der Schwangeren bzw. des Paares, die keiner Rechtfertigung bedürfen.
Die genetische Beratung sollte von ratsuchenden Eltern als Chance genutzt werden, sich vor einer vorgeburtlichen Diagnostik mit den möglichen Konsequenzen eines auffälligen Ergebnisses auseinander zu setzen und eine als Paar gemeinsam tragfähige Entscheidung zu finden. Denn ist die „diagnostische Mühle“ einmal in Gang gesetzt, empfinden viele Schwangere/Paare den Druck des Faktischen als belastend oder gar fremdbestimmend. Durch eine frühzeitige Planung der Diagnostik und intensive Auseinandersetzung mit allen Optionen können Zeitdruck, Entscheidungsnot und Paarkonflikte reduziert oder gar vermieden werden.
Vorgeburtliche Diagnose
Untersuchungsspektrum

Bei der vorgeburtlichen Diagnostik wird auf ganz bestimmte Erkrankungen untersucht. Angeborene Fehlbildungen können aufgrund einer erblichen Veranlagung oder zufällig (sporadisch) entstehen. Erbliche Veranlagungen können einzelne Gene (monogene Erkrankungen) oder ganze Chromosomen(regionen) betreffen. Veränderungen einzelner Gene lassen sich durch molekulargenetische Untersuchungen nachweisen, während Chromosomenstörungen mittels Chromosomenanalyse festgestellt werden.
Um bestimmte genetische Erkrankungen auszuschließen oder nachzuweisen, müssen Zellen des Feten untersucht werden. Da diese bisher meist mittels invasiver Entnahmetechniken gewonnen wurden, werden vielfach nichtinvasive Untersuchungen vorgeschaltet, mit denen jedoch nur eine gewisse Abschätzung des jeweiligen Erkrankungsrisikos möglich ist.
Eine vorgeburtliche genetische Diagnostik ist in Deutschland seit Inkrafttreten des Gendiagnostikgesetzes nur im Hinblick auf Erkrankungen erlaubt, welche die Gesundheit des Feten während der Schwangerschaft oder nach der Geburt beeinträchtigen und die i.d.R. vor dem 18. Lebensjahr ausbrechen oder wenn eine Behandlung des Embryos oder Feten mit einem Arzneimittel vorgesehen ist, dessen Wirkung durch bestimmte genetische Eigenschaften beeinflusst wird.
Nichtinvasive Untersuchungen
Bei der vorgeburtlichen Diagnostik wird auf ganz bestimmte Erkrankungen untersucht. Angeborene Fehlbildungen können aufgrund einer erblichen Veranlagung oder zufällig (sporadisch) entstehen. Erbliche Veranlagungen können einzelne Gene (monogene Erkrankungen) oder ganze Chromosomen(regionen) betreffen. Veränderungen einzelner Gene lassen sich durch molekulargenetische Untersuchungen nachweisen, während Chromosomenstörungen mittels Chromosomenanalyse festgestellt werden.
Ultraschall
Durch eine Ultraschalluntersuchung können - insbesondere im Rahmen des Feinultraschalls im zweiten und dritten Schwangerschaftsdrittel – verschiedene innere (z.B. Herzfehler) und äußere (z.B. Klumpfuß) fetale Fehlbildungen erkannt werden. Jedoch sind kleinere Fehlbildungen wie auch die mit der Neurofibromatose einhergehenden typischen körperlichen Auffälligkeiten beim Feten zu diesem Zeitpunkt i.d.R. noch nicht vorhanden oder meist nicht erkennbar, so dass diese risikofreie Methode für die vorgeburtliche Diagnostik einer Neurofibromatose nicht geeignet ist.
Nichtinvasive Pränataldiagnostik am Blut der Schwangeren (NIPD)
Im Blut der Schwangeren befindet sich Erbmaterial (freie DNA), welches überwiegend von der Schwangeren, aber zum Teil auch vom Feten stammt. Durch den Vergleich mit bekannten elterlichen Erbmerkmalen können Rückschlüsse auf Erbmerkmale des ungeborenen Kindes gezogen werden. Diese Untersuchungsmethode wird derzeit zur Abschätzung des Risikos für Zahlabweichungen (Aneuploidien) der Chromosomen 13, 18, 21, X und Y beim Feten angeboten. Die Erkennungsrate für Trisomie 21 liegt zwar inzwischen bei über 99% bei weniger als 0,1% falsch positiven Ergebnissen, trotzdem wird zumindest im Falle eines auffälligen Ergebnisses noch eine Bestätigung durch eine invasive Diagnostik empfohlen. Der Vorteil dieser Methode, die bereits ab der 5. Schwangerschaftswoche angeboten wird, ist zum einen der frühe Untersuchungszeitpunkt. Zum anderen kann man zumindest im Falle eines unauffälligen Ergebnisses auf eine invasive Diagnostik verzichten und somit das damit verbundene Risiko einer Fehlgeburt vermeiden. Prinzipiell hat diese Methode auch das Potential, genetische Ursachen monogener Erkrankungen wie Neurofibromatose beim Feten zu erkennen. Der Nachweis ist für mehrere monogene Erkrankungen in Einzelfällen bereits gelungen. Für eine breite diagnostische Anwendung ist jedoch noch einiger Forschungs- und Etablierungsaufwand notwendig.
Präkonzeptionelle Diagnostik
Unter dem Begriff der präkonzeptionellen Diagnostik werden die Polkörperdiagnostik (PKD) und die Präimplantationsdiagnostik (PID) zusammengefasst. Diese Untersuchungen finden an der befruchteten Eizelle bzw. den sich daraus entwickelnden Tochterzellen statt. Voraussetzung ist deshalb immer eine künstliche Befruchtung (in-vitro-Fertilisation), da die Untersuchung der Zellen außerhalb des Mutterleibes erfolgt. Anschließend werden maximal drei Eizellen/Embryonen, die den genetischen Defekt nicht tragen, in die Gebärmutter übertragen. Auf diese Weise kann der Abbruch einer Schwangerschaft wegen eines betroffenen Feten und die Notwendigkeit einer invasiven Diagnostik mit dem Risiko einer Fehlgeburt vermieden werden. Übrige Eizellen/Embryonen, bei denen der Gendefekt ausgeschlossen wurde, können für eine zukünftige Übertragung eingefroren werden. Eizellen/Embryonen mit nachgewiesenem Gendefekt werden der Frau nicht übertragen und sterben dadurch ab. Darin besteht – neben der Notwendigkeit einer künstlichen Befruchtung unabhängig von der Fruchtbarkeit der Frau - eines der ethischen Probleme der präkonzeptionellen Diagnostik.
Die Erfolgschancen dieser Verfahren hängen ganz wesentlich vom Alter der Frau ab, da Menge und Lebensfähigkeit der durch eine Hormonbehandlung künstlich gereiften Eizellen mit dem Alter der Frau abnehmen. Außerdem entwickeln sich nicht alle Eizellen/Embryonen in vitro weiter und die Eizellen/Embryonen mit nachgewiesenem Gendefekt werden nicht übertragen. So reduziert sich die Anzahl der verfügbaren Eizellen/Embryonen, wodurch in Abhängigkeit vom mütterlichen Alter und dem gewählten Verfahren derzeit nur ca. 5-30% der behandelten Frauen ein Kind zur Welt bringen.
Die Kosten für diese Verfahren sind erheblich und werden zurzeit nur in geringem Umfang von den Krankenkassen übernommen.
- Polkörperdiagnostik
Bei der Polkörperdiagnostik (PKD) werden die beiden sog. Polkörperchen untersucht, die nach der Befruchtung der Eizelle durch die Samenzelle, aber noch vor Verschmelzung des mütterlichen und väterlichen Zellkerns von der Eizelle abgegeben werden. Mittels PKD können nur beschränkte Rückschlüsse ausschließlich auf mütterlich vererbte Merkmale des Kindes gezogen werden. Trägt der Vater z.B. eine NF-Mutation, ist eine PKD nicht zielführend.
- Präimplantationsdiagnostik
Bei der PID werden der sich aus der befruchteten Eizelle entwickelnden Zellmasse sehr früh eine oder einige wenige Zellen entnommen und auf die in Frage stehende Erbkrankheit(en) untersucht. Da diese Zellen die kompletten Erbanlagen des Feten enthalten, kann sowohl auf die Übertragung mütterlicher als auch väterlicher Erbanlagen untersucht werden.
Invasive Entnahmetechniken
Als invasiv werden chirurgische Entnahmen fetaler Zellen/Gewebe bezeichnet, die mit einem erhöhten Risiko einer Fehlgeburt einhergehen. Dies sind die Plazentapunktion (Chorionzottenbiopsie), die Fruchtwasserentnahme (Amniozentese) und die Nabelschnurpunktion (Cordozentese). Sowohl die Entnahmetechniken als auch die anschließenden Untersuchungen werden i.d.R. von den Krankenkassen bezahlt.
Chorionzottenbiopsie
Die Entnahme einer kleinen Gewebeprobe aus dem kindlichen (fetalen) Anteil des Mutterkuchens (Plazenta), die sog. Chorionzottenbiopsie, wird im Allgemeinen zwischen der 11. und der 14. Schwangerschaftswoche durch die Bauchdecke durchgeführt. An dem Gewebe können bei Bedarf sowohl die molekulargenetische Untersuchung im Hinblick auf die familiäre Mutation im jeweiligen NF-Gen als auch eine Chromosomenanalyse durchgeführt werden.
Die molekulargenetische Untersuchung dauert i.d.R. zwei Wochen. Ein erstes, vorläufiges Ergebnis der Chromosomenanalyse an Chorionzotten liegt i.d.R. bereits 24 h nach dem Eingriff vor, dass jedoch durch eine Chromosomenanalyse nach Zellkultivierung abgesichert werden muss, welches nach etwa zwei Wochen vorliegt. Bei bis zu 5% der Proben ist das Ergebnis der Chromosomenanalyse an Chorionzotten nicht eindeutig und muss weiter abgeklärt werden. Der frühe Untersuchungszeitpunkt ist der wesentliche Vorteil der Chorionzottenbiopsie gegenüber Amniozentese und Cordozentese. Das Risiko, dass durch die Chorionzottenbiopsie eine Fehlgeburt ausgelöst wird, beträgt weniger als 1%.
Amniozentese
Die Entnahme von (etwa 10-15 ml) Fruchtwasser, die sog. Amniozentese, erfolgt i.d.R. zwischen der 13. und der 18. Schwangerschaftswoche durch die Bauchdecke. Am Fruchtwasser kann neben der molekulargenetischen Untersuchung im Hinblick auf die familiäre NF-Mutation parallel auch eine Chromosomenanalyse sowie eine Eiweißbestimmung zum Ausschluss eines Neuralrohrdefektes durchgeführt werden.
Ein Teilergebnis der Chromosomenanalyse kann mit dem sog. Schnelltest bereits nach einem Tag erhoben werden. Das Ergebnis beschränkt sich jedoch auf die Anzahl der Chromosomen 13, 18, 21, X und Y – über deren Struktur sowie die Anzahl aller anderen 19 Chromosomenpaare kann dieser Test keine Auskunft geben. Diese Informationen können nur durch die Chromosomenanalyse nach Zellkultivierung gewonnen werden. Das endgültige Ergebnis liegt nach etwa 10-14 Tagen vor. Das Risiko, dass durch die Amniozentese eine Fehlgeburt ausgelöst wird, beträgt etwa 0,5 %.
Cordozentese
Die Entnahme von Fetalblut aus der Nabelschnur, die sog. Cordozentese, wird i.d.R. ab der 16. Schwangerschaftswoche durchgeführt. Sie kann z.B. notwendig sein, um einen kontrollbedürftigen Befund an Chorionzotten oder Fruchtwasser durch Untersuchung eines unabhängigen Gewebes abzuklären. Am fetalen Blut können sowohl molekulargenetische Untersuchungen z.B. auf eine NF-Mutation als auch eine Chromosomenanalyse oder immunologische Untersuchungen (z.B. Erreger-Nachweise, Blutgruppen- und Antikörper- Bestimmungen) durchgeführt werden. Das Ergebnis einer Chromosomenanalyse aus Fetalblut steht nach etwa 5 Tagen zur Verfügung. Das Risiko, dass durch die Nabelschnurpunktion eine Fehlgeburt ausgelöst wird, beträgt etwa 2-3%.
Molekulargenetische Untersuchung, z.B. auf Mutationen in den NF-Genen
Bei der molekulargenetischen Diagnostik wird das jeweilige Untersuchungsmaterial gezielt auf diejenige Veränderung untersucht, die als Ursache der familiären/elterlichen Erkrankung wie z.B. Neurofibromatose bekannt ist. Voraussetzung für eine vorgeburtliche molekulargenetische Diagnostik ist also, dass die der familiären/elterlichen Erkrankung zugrunde liegende genetische Veränderung bekannt ist. Die Untersuchung kann an Chorionzotten, Fruchtwasser oder Nabelschnurblut durchgeführt werden.
Chromosomenanalyse
Bei der Chromosomenanalyse werden die Chromosomen, die Träger der Erbinformation, im Mikroskop sichtbar gemacht und untersucht. Dabei wird der gesamte Chromosomensatz des Menschen dargestellt. Dadurch können sowohl Abweichungen von der normalen Chromosomenzahl (z.B. 47 anstatt 46 Chromosomen wie bei Trisomie 21) als auch grobe Veränderungen der Chromosomenstruktur nachgewiesen werden. Chromosomenveränderungen, die kleiner sind als das mikroskopische Auflösungsvermögen und Defekte einzelner Gene lassen sich so nicht feststellen.
Untersuchung auf Neuralrohrdefekte
Verschlussstörungen des Zentralnervensystems (Neuralrohrdefekte) wie z.B. der sog. offene Rücken (Spina bifida) entstehen früh in der Schwangerschaft. Wenn der Neuralrohrdefekt nicht von Haut bedeckt ist, kann die Konzentration eines vom Feten in das Fruchtwasser abgegebenen Eiweißes (Alpha 1-Feto-Protein, AFP) ansteigen. Unter bestimmten Umständen können zusätzliche Untersuchungen (z.B. Bestimmung des nervengewebsspezifischen Enzyms Acetylcholinesterase (AChE) im Fruchtwasser) indiziert sein.
Gendiagnostikgesetz (GenDG)
Seit Inkrafttreten des GenDG am 1.2.2010 müssen Schwangere vor jeder genetischen Pränataldiagnostik und zur Ergebnismitteilung durch einen dafür qualifizierten Arzt genetisch beraten werden. Nur im Einzelfall darf die Schwangere nach Aushändigung schriftlicher Informationen über die Beratungsinhalte auf die Beratung verzichten. Die Untersuchung darf erst nach ärztlicher Aufklärung und mit schriftlicher Einwilligung der Schwangeren nach einer angemessenen Bedenkzeit begonnen werden.
Sowohl die Chromosomenanalyse als auch molekulargenetische Untersuchungen an Chorionzotten, Fruchtwasser und Nabelschnurblut wie auch die NIPD unterliegen den Anforderungen des Gendiagnostikgesetzes. Auch für einige nichtinvasive pränataldiagnostische Methoden, wie der Ultraschall und das sog. Ersttrimester-Screenings gilt das GenDG, wenn sie angewendet werden, um gezielt die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer bestimmten erblich bedingten Erkrankung abzuschätzen. Die Präimplantationsdiagnostik und die Polkörperdiagnostik unterliegen hingegen nicht dem Anwendungsbereich des GenDG.
Embryonenschutzgesetz
Das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verbietet seit 1990 u.a. die Entnahme und Übertragung von Eizellen zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bei der Frau, von der die Eizelle stammt. Somit ist eine Eizellspende in Deutschland gesetzlich verboten. Auch die PID galt damit als verboten, wurde jedoch 2011 durch eine Ergänzung des § 3 (= Präimplanationsdiagnostikgesetz) begrenzt zugelassen. Da die Polkörperdiagnostik hingegen nicht gegen das ESchG verstößt, war sie in Deutschland bis 2011 die einzige erlaubte Form der präkonzeptionellen Diagnostik. Die PKD unterliegt zwar dem Anwendungsbereich des Embryonenschutzgesetztes, aber nicht dem Gendiagnostikgesetz und nicht dem Präimplanationsdiagnostikgesetz.
Präimplantationsdiagnostikgesetz (PIDG) und zugehörige Rechtsverordnung (PIDV)
Die PID ist seit Änderung des Embryonenschutzgesetzes durch Einfügung eines neuen Paragraphen 3a auch in Deutschland unter bestimmten Bedingungen straffrei. Sie darf an speziell dafür zugelassenen Zentren von dafür spezialisierten Ärzten durchgeführt werden, wenn aufgrund der Erbanlage eines oder beider Elternteile ein hohes Risiko für eine schwerwiegende Erkrankung der Nachkommen oder eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Tot- oder Fehlgeburt besteht. Die Durchführungsbestimmungen sind im Detail in der Präimplantationsdiagnostik- Verordnung (PIDV) geregelt.
Um eine PID in Deutschland durchführen zu lassen, muss die Frau einen schriftlicher Antrag an eine PID-Ethikkommission stellen und die medizinischen Voraussetzungen einer PID durch entsprechende Befunde belegen. Die PID-Ethikkommissionen entscheiden innerhalb einer Frist von drei Monaten darüber, ob unter Berücksichtigung der im konkreten Einzelfall maßgeblichen psychischen, sozialen und ethischen Gesichtspunkte die Voraussetzungen des PIDG erfüllt sind. Ob eine Neurofibromatose eine schwerwiegende Erkrankung ist, bleibt also eine auf den individuellen Einzelfall bezogene Entscheidung einer PID-Ethikkommission.
Dr. Simone Heidemann
Institut für Tumorgenetik Nord, Kiel
und
Prof. Dr. Andreas Gal
MVZ Heidrich und Kollegen, Hamburg
Text "Vorgeburtliche genetische Diagnostik" als PDF-Datei zum Download