Revidierte diagnostische Kriterien für Neurofibromatose Typ 1 (NF1) und Legius Syndrom
Im April 2021 endete eine über drei Jahre geführte fachübergreifende, multidisziplinäre Diskussion darüber, die diagnostischen Kriterien für NF1 und LGSS zu revidieren.
Das Ziel war es, neue Erkenntnisse aus Klinik und Genetik in die seit 1987 bestehenden initialen diagnostischen Kriterien aufzunehmen.
In das Verfahren wurden NF-Spezialisten und Nicht-NF-Spezialisten, Selbsthilfegruppen, Betroffene und Familien involviert.
Bei der Überarbeitung der NF1-Diagnosekriterien wurden neue Erkenntnisse aus den Gebieten der Genetik, Augenheilkunde, Dermatologie und Bildgebung des Nervensystems berücksichtigt.
Darüber hinaus wurden diagnostische Kriterien für das Legius Syndrom etabliert.
(Bill Oxford on unsplash )
Revidierte diagnostische Kriterien für NF1
Die diagnostischen Kriterien für NF1 gelten als erfüllt bei Patienten, wenn zwei der folgenden Merkmale bestehen:
- Sechs oder mehr Café-au-lait Flecken (CAL) > 5mm Durchmesser präpubertär und > 15mm postpubertära.
- Freckling in der Achselhöhle oder der Leistenregiona.
- Zwei oder mehr Neurofibrome jedes Typs oder ein plexiformes Neurofibrom (PNF)
- Gliom der Sehbahn
- Zwei oder mehr Irisknötchen, die durch Spaltlampenuntersuchung identifiziert werden oder zwei oder mehr choroidale Anomalien (CAs), die als unregelmäßige helle Knoten durch optische Kohärenz Tomographie (OCT) bzw. Nahinfrarot-Bildgebung (NIR Imaging) nachgewiesen werden.
- Spezifische knöcherne Läsionen wie die Keilbeindysplasieb, anterolaterales Bowing der Tibia oder Pseudarthrose der langen Röhrenknochen.
- Eine heterozygote pathogene (=krankheitsverursachende) NF1-Variante mit einer Allelfrequenz von 50% in normalem Gewebe wie den Leukozyten.
a) Wenn nur CAL und Freckling nachweisbar sind, ist die Diagnose NF1 wahrscheinlich, jedoch in Ausnahmefällen kann der Patient eine andere Diagnose wie das Legius Syndrom aufweisen. Auf jeden Fall sollte eine der Pigmentierungsauffälligkeiten beidseits auftreten.
b) Die Keilbeindysplasie stellt kein separates diagnostisches Kriterium dar im Falle eines auf derselben Seite gelegenen plexiformen Neurofibroms des Orbita.
Ein Kind eines Elternteils, bei dem entsprechend den genannten diagnostischen Kriterien die Diagnose einer NF1 gestellt wurde, hat die Diagnose einer NF1, wenn eines oder mehr der aufgeführten Kriterien erfüllt sind.
Diagnostische Kriterien für Legius Syndrom
Die diagnostischen Kriterien für Legius Syndrom gelten als erfüllt bei Patienten mit Eltern ohne Legius Syndrom, wenn zwei oder mehr der folgenden Merkmale bestehen:
- sechs oder mehr Café-au-lait Flecken beidseits auftretend
- kein anderes NF1-Kriterium ausgenommen axilläres und inguinales Frecklinga
- eine heterozygote pathogene Variante des SPRED1-Gens mit einer Allelfrequenz von 50% in unbetroffenem Gewebe wie den Leukozyten.
a) der Nachweis von < 6 Café-au-lait Flecken schließt das Legius Syndrom nicht aus.
Ein Kind eines Elternteils, welches die genannten Kriterien erfüllt, erhält die Diagnose Legius Syndrom, wenn zwei oder mehr der aufgeführten Kriterien vorhanden sind.
Diagnostische Kriterien für NF1-Mosaikbildung
Die diagnostischen Kriterien für Legius Syndrom gelten als erfüllt bei Patienten mit Eltern ohne Legius Syndrom, wenn zwei oder mehr der folgenden Merkmale bestehen:
- sechs oder mehr Café-au-lait Flecken beidseits auftretend
- kein anderes NF1-Kriterium ausgenommen axilläres und inguinales Frecklinga
- eine heterozygote pathogene Variante des SPRED1-Gens mit einer Allelfrequenz von 50% in unbetroffenem Gewebe wie den Leukozyten.
a) der Nachweis von < 6 Café-au-lait Flecken schließt das Legius Syndrom nicht aus.
Ein Kind eines Elternteils, welches die genannten Kriterien erfüllt, erhält die Diagnose Legius Syndrom, wenn zwei oder mehr der aufgeführten Kriterien vorhanden sind.
Die hier vorliegenden Informationen wurden der Veröffentlichung in Auszügen entnommen und von V.-F. Mautner und H. Kehrer-Sawatzki bearbeitet.
Den Bearbeitern war es wichtig, neue Erkenntnisse für Betroffene zur Verfügung zu stellen. Der Artikel ist im Prinzip in seiner Originalfassung für Mediziner geschrieben und bleibt dem Laien in Teilen naturgemäß auch in angepasster Abfassung nur bedingt zugänglich.
Hintergründe zur Studie
Methoden:
Es erfolgte ein mehrschrittiger Prozess, der mit der Delphi Methode (ein systematisches, mehrstufiges Befragungsverfahren unter Experten) startete und damit weltweit NF-Experten zur Abstimmung und Meinungsbildung zusammenführte. Im Anschluss wurden Experten einbezogen, die nicht spezifisch auf dem Gebiet der NF ausgewiesen sind, sowie Patienten, Selbsthilfe- und Patientenvertretergruppen, um die so formulierten Kriterien auch durch diese Gruppen zu überprüfen.
Ergebnisse:
Es wurde ein Konsens über die diagnostischen klinischen und genetischen Kriterien aufgestellt, die mindestens erfüllt sein müssen zur Diagnose der NF1. Diese Kriterien sollen auch zur Abgrenzung von NF1 zum Legius Syndrom dienen. NF1 und das Legius-Syndrom zeigen phänotypisch bei Kindern mit Pigmentierungsauffälligkeiten Überlappungen. Kriterien für die Mosaikformen beider Krankheitsbilder wurden ebenfalls empfohlen.
Die geänderten diagnostischen NF1-Kriterien beinhalten neue klinische Erkenntnisse und beziehen die genetische Testung ein. Die diagnostischen Kriterien für das Legius Syndrom wurden aufgestellt, um beide Krankheitsbilder gegeneinander abgrenzen zu können. Eine kontinuierliche Überprüfung dieser neuen Kriterien wird notwendig sein, weil
(1) die diagnostische Wertigkeit der geänderten Kriterien weiter zu überprüfen ist,
(2) bislang nicht einbezogenen Kriterien zu berücksichtigen sind und/oder
(3) neue klinische oder andere Merkmale dieser Erkrankungen definiert werden.
Aus diesen Gründen wurde vorgeschlagen, die diagnostischen Kriterien für NF1 und Legius Syndrom regelmäßig zu überprüfen und auf den neuesten Stand zu bringen.
Begriffe und Geschichte:
Neurofibromatose Typ 1 (NF1; OMIM 613113) wird autosomal-dominant vererbt und ist charakterisiert durch multiple Café-au-lait Flecken (CAL), Sommersprossen der Hautfalten (Freckling oder genauer definiert als lentigenöse Maculae, weil nur in Bereichen auftretend, die nicht der Sonne ausgesetzt sind), Lischknötchen, Tumore des Nervensystems und andere Merkmale. Die Krankheitsmerkmale können in jedem Körperabschnitt bzw. Körpersystem auftreten (1, 2). Es besteht ein signifikant erhöhtes Risiko für das Auftreten bestimmter Tumoren einschließlich Brustkrebs bei Frauen < 50 Jahre, für maligne periphere Nervenscheidentumoren (MPNST) und Gehirntumoren (3).
Die moderne Geschichte der Begriffsbildung für Neurofibromatose (NF) begann im Jahr 1987 mit der National Institutes of Health (NIH) Konsensus Development Konferenz über NF (4). Bis zu diesem Zeitpunkt bestand Unklarheit in der Literatur, ob beidseitige vestibulare Schwannome (vormals als Akustikusneurinome bezeichnet) ein Merkmal einer NF1 sind oder ein eigenständiges Krankheitsbild darstellen. Riccardi legte die Grundlagen für die NIH-Kriterien durch den Vorschlag eines numerischen Klassifikationssystems, das auf dem Auftreten bzw. Nichtvorhandensein von CAL, Sommersprossen der Hautfalten, spezifischen Augenmerkmalen, Neurofibromen und Komplikationen für die jeweiligen Krankheitstypen basiert (5). Die Aufdeckung des NF1-Gens auf dem Chromosom 17 und des NF2-Gens auf dem Chromosom 22 ermöglichte es der Konsensus Konferenz dann, diagnostische Kriterien für die beiden Krankheitsbilder zu etablieren. Die Experten erkannten bereits seinerzeit, dass Patienten, die die diagnostischen Kriterien nicht erfüllten, aufgrund der klinischen und genetischen Untersuchung in Zukunft diejenigen sein dürften, für die weitere NF-Typen zu ermitteln sind (4).
Die Kriterien, die 1988 von der NIH Konferenz aufgestellt wurden, beinhalten die häufigsten auftretenden Merkmale (CAL, Sommersprossen, Neurofibrome und Lischknötchen) neben typischen Komplikationen, die mit NF1 einhergehen. Seit 1987 erfolgte eine formale Überprüfung der NF1-Kriterien durch ein Expertengremium der amerikanischen Neurofibromatose Gesellschaft, die heute den Namen Children’s Tumor Foundation (CTF) trägt (8). Dabei wurden keine Änderungen der Kriterien vorgeschlagen.
Das NF1-Gen wurde im Jahr 1990 genetisch identifiziert (9, 10). Nachfolgende zellbiologische Studien zeigen, dass das Protein des NF1-Gens, das sogenannte Neurofibromin weitgehend als GTPase aktivierendes Protein (GAP) funktioniert und ein negativer Regulator des RAS/MAPKinase Pathways ist (11). Fortschritte in der Zellbiologie und Tiermodellstudien führten zur Identifikation der MEK-Inhibitoren, die das Wachstum der plexiformen Neurofibrome (PNF) reduzieren und zur Regression bringen können. Im April 2020 wurde das Medikament Selumetinib von der amerikanischen Behörde FDA (Food and Drug Administration) zugelassen, das zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit NF1-assoziierten symptomatischen PNF eingesetzt wird (11).
NF1 war die erste Erkrankung des Menschen, bei der entdeckt wurde, dass der verursachende Keimbahn-Gendefekt zu einer Störung des RAS-Signalwegs führt. Nachfolgend konnten noch weitere Erkrankungen aufgedeckt werden, die durch pathogene Keimbahn-Varianten (pathogene Mutation und infolge als PVs bezeichnet) in anderen Genen des RAS-Signalwegs verursacht werden. Dazu gehört das Noonan, das Costello und das Kardio-faziale-kutane Syndrom (12). Zusammengenommen wurde die Gruppe von Erkrankungen als Rasopathien bezeichnet.
Auch das Legius Syndrom (LGSS; OMIM 611431) ist eine Rasopathie und zeigt die ausgeprägteste Überlappung mit der NF1(13). LGSS wird autosomal dominant vererbt und ist gekennzeichnet durch multiple CAL wie bei der NF1, in Assoziation mit oder ohne Sommersprossen. LGSS wird durch pathogene PVs im SPRED1-Gen verursacht. Das SPRED1-Gen ist auf Chromosom 15 lokalisiert. Weitere Studien zeigten, dass pathogene PVs des SPRED1-Gens nur bei 1% der sporadischen Fälle und 19% der familiären Verläufe mit unauffälligen Pigmentierungsbildern (CAL, Sommersprossen) auftreten (14).
Individuen mit LGSS entwickeln keine Irisknötchen auf der Regenbogenhaut, keine Neurofibrome oder andere Komplikationen einer NF1-Erkrankung. Bei Anwendung der bislang gültigen diagnostischen NIH-Kriterien für NF1 würden etwa 50% der Patienten mit LGSS auch die Kriterien für NF1 erfüllen. (14). Entscheidend für die diagnostische Abgrenzung des LGSS von NF1 ist die unterschiedliche Krankheitsursache und deren differierender Krankheitsverlauf. LGSS tritt seltener als NF1 auf mit einer geschätzten Krankheitshäufigkeit von 1/46.000 – 1/75.000 auf (4% dieser Patienten werden in einem NF-Zentrum betreut (15)) im Vergleich zu einer Prävalenz von ½.000 – 1/3.000 für NF1 (16).
Die Entdeckung des Legius Syndroms stellt eine wichtige Einschränkung der klinischen diagnostischen NIH-Kriterien für NF1 dar. Darüber hinaus wurden andere Krankheitsbilder mit überlappenden Phänotypen und anderen Entstehungsursachen identifiziert bzw. besser definiert (bspw. segmentale NF1 bzw. NF1-Mosaikbildung (17) und das konstitutionelle Mismatch Repair Deficiency Syndrom) (18) und weitere potentielle Merkmale für die NF1 identifiziert (z.B. choroidale Anomalien und Naevus anaemicus) (19,20). Schließlich steht die genetische Testung für NF1 mit einer hohen Mutationsnachweisrate zur Verfügung und es wurden Geno-Phänotyp-Korrelationen beschrieben. Mit Unterstützung der CTF wurde ein internationales Gremium von NF- und Schwannomatose-Experten 2017 zusammengestellt und beauftragt, die diagnostischen Kriterien für NF1, NF2 und Schwannomatose zu überprüfen. Die Überprüfung der NF2 - und Schwannomatose Kriterien wird in einer separaten Publikation erfolgen.
Material und Methoden:
In einem modifizierten Delphi Prozess erfolgte eine Konsensbildung zu den überprüften diagnostischen NF1-Kriterien. Ein Ausschuss von sieben Experten überprüfte die Literatur, formulierte soweit gewonnene Erkenntnisse für die zwei Runden des Delphi Prozesses, brachte Stellungnahmen von Patienten, betroffenen Familien und Befürwortern in Bezug auf die vorgeschlagenen neuen diagnostischen Kriterien ein, die dann im Januar 2020 zu Ende geführt wurden.
Ergebnisse:
Der Expertenausschuss führte eine fachgerechte Bewertung der in der Literatur beschriebenen klinischen und/oder genetischen Merkmale durch, die verlässlich NF1 identifizierten können und von NF1-Mosaikbilduung, LGSS und LGSS-Mosaikbildung abgrenzen können.
Folgende klinische Merkmale wurden als diagnostische Kriterien betrachtet:
Charakteristische Tumoren wie Neurofibrome oder Gliome,
das Auftreten von Hautauffälligkeiten wie CAL, Sommersprossen, juvenile Xanthogranulome und Naevus anaemicus;
das Bestehen charakteristischer ophthalmologischer Befunde wie Lischknötchen und choroidale (d.h. die Aderhaut betreffende) Auffälligkeiten;
der Nachweis von charakteristischen knöchernen Schädigungen/Fehlbildungen wie Keilbeindysplasie, Skoliose, anterolaterale Krümmung des Unterschenkels, Pseudarthrose;
der Nachweis von sogenannten signalintensen Herden (Focal Areas of signal intensity – FASI), die beim MRT des Schädels nachgewiesen werden und ein familiäres Auftreten der NF1.
Als molekulare Merkmale wurde der Nachweis einer NF1- oder SPRED1- pathogenen Variante in nicht betroffenem Gewebe erachtet.
Modifizierter Delphi Prozess:
Am ersten Delphi Prozess nahmen 67 von 76 eingeladenen NF-Experten teil, in dem 13 Aussagen zu den diagnostischen Kriterien bewertet wurden. Hier ergab sich eine sehr hohe Übereinstimmung für vier vorgeschlagene Änderungen: es soll
eine Revision der Kriterien erfolgt, um NF1-Mosaikbildung klar zu definieren.
die genetische Diagnose als neues Kriterium hinzu gefügt werden, ohne zu implizieren, dass diese für die Diagnose erforderlich ist.
der Begriff „Knochenverdünnung der langen Röhrenknochen“ durch die Bezeichnung „anterolaterale Krümmung der unteren Extremität“ ersetzt werden.
die spezifischen Kriterien wie Neurofibrome, Optikusgliom und Lischknötchen beibehalten werden, mit geringen Änderungen der Bezeichnung bei den letztgenannten beiden Merkmalen.
Es fand sich eine hohe Übereinstimmung für weitere vorgeschlagene Änderungen:
Änderung der Namengebung (Nomenklatur), um eindeutig NF1 gegenüber dem LGSS abgrenzen zu können sowie NF2 gegenüber Schwannomatose.
Klärung, welche betroffenen Angehörige ersten Grades selbst die Kriterien für eine familiäre Form der Erkrankung aufweisen.
Die Zusammenführung von CAL und Freckling in ein einziges Kriterium.
Berücksichtigung der langen Röhrenknochen, bei denen ein angeborenes/kongenitales Bowing und/oder eine Pseudarthrose auftreten kann.
Berücksichtigung von juvenilen Xanthogranulomen, choroidalen Anomalien/Knötchen und dystrophischen Skoliosen bei den revidierten Kriterien
Es bestand keine Einigkeit für zwei vorgeschlagene neue Kriterien: Hinzufügung des Naevus anaemicus und der FASI.
Während eines Arbeitstreffens in New York 2018 formulierten Arbeitsgruppen neun revidierte Aussagen zu den diagnostischen Kriterien als Diskussionsgrundlage; diese schlossen eine Diskussion über ein abgestuftes System mit A- und B-Kriterien ein. An der Bewertung der neun revidierten Stellungnahmen nahmen 58 der 76 NF-Experten teil. Es bestand eine hohe Übereinstimmung für vier vorgeschlagene Änderungen der diagnostischen Kriterien:
Ergänzung der genetischen Diagnose als neues Kriterium
Empfehlung einer genetischen Testung für Patienten mit segmentalen klinischen Krankheitsmerkmalen
Empfehlung einer genetischen Testung für Familien mit zwei betroffenen Geschwistern und klinisch nicht betroffenen Eltern
Empfehlung einer genetischen Testung für Kinder, die die Kriterien allein aufgrund der Pigmentierungsauffälligkeiten erfüllen.
Es bestand eine hohe Übereinstimmung (60-80%) für drei vorgeschlagene Änderungen:
Berücksichtigung der genetischen Testung für Patienten mit multiplen spinalen Neurofibromen ohne andere Merkmale einer NF1.
die Nutzung einer Spaltlampe oder einer indirekten Ophthalmoskopie für die Identifikation von Lischknötchen.
Einbeziehung choroidaler Änderungen als diagnostisches Kriterium.
Schlussendlich bestand hohe Übereinstimmung (71%), das gegenwärtige Format der Kriterien beizubehalten anstatt sie in ein System mit A- und B-Kriterien abzustufen. Insgesamt waren 74 von 76 Experten in den Revisionsprozess einbezogen, neun von 12 Experten, die nicht im Bereich der Neurofibromatosen ausgewiesen waren, stimmten den vorgeschlagenen Änderungen der diagnostischen Kriterien zu. Die NF Experten teilten die Auffassung, dass Medizinier auch ohne spezielle Kenntnisse im Bereich der NF die neuen diagnostischen Kriterien anwenden können.
Vorgeschlagene neue diagnostische Kriterien für NF1 und Legius Syndrom:
Abschließend wurde eine Übereinstimmung für die mindestens vorhandenen klinischen und genetischen Kriterien zur Diagnose von NF1 und Legius Syndrom gefunden.
Diskussion:
In diesem Manuskript werden die Ergebnisse einer fachübergreifenden multidisziplinären Diskussion beschrieben, die diagnostischen Kriterien für NF1 und LGSS zu revidieren. Dieser Prozess dauerte drei Jahre und reflektiert das Engagement, die Vielzahl der Beteiligten (NF-Spezialisten und Nicht-NF-Spezialisten, Selbsthilfegruppen, Betroffenen, Familien) in dieses Verfahren zu integrieren und zu beteiligen. Das Ziel war es, neue Erkenntnisse aus Klinik und Genetik in die seit 1987 bestehenden initialen diagnostischen Kriterien aufzunehmen. Dazu wurde ein modifizierter Delphi Prozess angewandt, um eine maximale Übereinstimmung unter den Interessengruppen zu erreichen unter dem Vorbehalt, dass eine vollständige Zustimmung nicht darstellbar ist. Ein immer wieder auftretender Gegenstand der Diskussion war die Herausforderung, den heterogenen Erwartungen verschiedener medizinischer Spezialisten an die diagnostischen Kriterien zu entsprechen. Schließlich versuchte die Gruppe Kriterien auszuwählen, die ein Gleichgewicht zwischen einer hohen Sensitivität und Spezifität aufweisen. Der Delphi Prozess funktionierte gut und zeigte die Bereiche hoher Übereinstimmung auf, so dass die Punkte unterschiedlicher Meinungen zur Diskussion auf dem Experten-Treffen in New York herausgearbeitet werden konnten.
Auffällige Hautpigmentierungen alleine sind nicht spezifisch für NF1:
Die gegenwärtigen klinischen diagnostischen Kriterien zeigen geringe Sensitivität bei Kindern, weil sich manche der klinisch diagnostischen Merkmale erst mit zunehmendem Lebensalter zeigen (1). Es wurde diskutiert, ob Freckling und CAL zu einem Kriterium zusammengefasst werden soll, konnte sich dazu aber nicht entschließen. Um Ärzten ins Bewusstsein zu rufen, dass differenzialdiagnostisch andere Krankheitsbilder als NF1 zu erwägen sind beim alleinigen Auftreten von Pigmentierungsauffälligkeiten, wurde ein Hinweis den diagnostischen NF1-Kriterien zugefügt, dass hier an LGSS, Noonan Syndrom mit multiplen Lentigenes und CMMRD zu denken ist.
Die Abgrenzung der NF1 zum LGSS stellt eine Herausforderung dar (14). Um die Diagnose bei Kindern unter sieben Jahren abzusichern bei Auftreten von CAL und Freckling Phänomen (mit/ohne familiärem Auftreten) und keinen anderen Merkmalen, kann die molekulargenetische Diagnostik erwogen werden.
Bei auffälliger Hautpigmentierung besteht die Differenzialdiagnose NF1-Mosaikbildung bei NF1. Hier wurden die diagnostischen Kriterien für NF1-Mosaikbildung (eindeutig segmentales Auftreten von CAL/Freckling) festgelegt.
Betroffene Geschwister und Nachkommen gelten nicht mehr als ein diagnostisches Kriterium:
Die Teilnehmer empfahlen den Terminus „Angehörige ersten Grades mit NF1“, wie er in den alten Kriterien auftritt, zu ersetzen durch die Definition „ein Elternteil mit NF1“. Durch diese Änderung wurden Geschwister und Nachkommen als Angehörige ersten Grades aus den diagnostischen Kriterien entfernt. Geschwister wurden entfernt, weil bei zwei betroffenen Geschwistern die Möglichkeit der Diagnose CMMRD besteht (30). Nachkommen wurden gestrichen, weil eine/ein Erwachsene*er, der nur ein diagnostisches Kriterium erfüllt und zusätzlich einen Nachkommen mit NF1 hat, der selbst die diagnostischen Kriterien aufweist, die Diagnose NF1-Mosaikbildung haben kann(31).
Aufführung der genetischen Konzepte, die als Grundlage für die Einbeziehung der molekularen Diagnostik zu verwenden sind:
Die Experten waren einvernehmlich der Meinung, dass der alleinige Nachweis einer pathogenen Variante ohne das Bestehen eines zweiten Kriteriums die Diagnose nicht rechtfertigt.
Orthopädische Kriterien:
Im Jahr 1987 wurde bei den orthopädischen Kriterien die Verdünnung des Kortex des langen Röhrenknochens mit oder ohne Assoziation mit einer Pseudarthrose u. a. als charakteristisch festgelegt. Im Jahr 2007 wurde eine Umbenennung dieses Kriteriums vorgeschlagen, da die Verdünnung des Röhrenknochens nicht die Primärläsion (die Ursache) ist (25). Die meisten Kinder zeigen ein anterolaterales Bowing (Biegung) des Unterschenkels; beim Röntgen zeigen sich eine Verengung des Knochenmarkkanals und eine Verdickung der Spitze der Kurve in der Tibia und/oder Fibula (25). Das Bowing kann, muss aber nicht zu einer Fraktur oder Pseudarthrose führen. Auch bei anderen langen Röhrenknochen kann selten eine Pseudarthrose auftreten.
Andere vorgeschlagene klinische Merkmale, die nicht in die revidierten Kriterien aufgenommen wurden:
Andere vorgeschlagene diagnostische Merkmale wurden nicht in die revidierten Kriterien aufgenommen wegen ungenügender Datenlage hinsichtlich Spezifität und Sensitivität oder aus anderen Gründen. Dazu gehörten folgende Kriterien: FASIS (signalintense Zonen), die beim MRT nachgewiesen werden (hier wurden Einwände bezüglich deren Spezifität und aufgrund deren Verschwinden bei einigen Patienten geäußert, mögliche Komplikationen, die partiell im Rahmen einer Narkose bei Kindern auftreten können), Naevus anaemicus und die Xanthogranulome sind dermatologische Auffälligkeiten, die für Nicht-Dermatologen nur schwierig zu diagnostizieren sind. Xanthogranulome haben nur transitorischen Charakter.
Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass Ärzte nicht nach jedem einzelnen der beschriebenen Kriterien bei ihrem Patienten suchen müssen. Zum Beispiel wird nicht empfohlen, Biopsien vorzunehmen oder Untersuchungen unter Vollnarkose, nur um die Diagnose zu bestätigen. Auch ohne diagnostische Testung wird die regelmäßige Verlaufskontrolle zeigen, ob eine NF1 vorliegt oder auch nicht.
Es wurde verstanden, dass die Nomenklatur der Begriffe Neurofibromatose Typ 1, Legius-Syndrom, Neurofibromatose Typ 2 und Schwannomatose anzupassen ist, um diese Krankheitsbilder klarer abzubilden und voneinander zu unterscheiden. Dies wird eine zukünftige Aufgabe der Expertenrunde sein.
Die vorgeschlagenen Kriterien zur Diagnose einer NF1 und LGSS sind das Ergebnis des ersten koordinierten Versuchs eines Updates dieser Kriterien seit 1987. Die CTF wird eine fortlaufende Initiative unterstützen, um diese diagnostischen Kriterien zu evaluieren und gegebenenfalls zu ändern bzw. anzupassen. Wir gehen davon aus, dass diese Expertengruppe regelmäßig Austausch haben wird, um neue Erkenntnisse zu prüfen und regelmäßig darüber zu berichten.
Title
Revised diagnostic criteria for neurofibromatosis type 1 and Legius syndrome: an international consensus recommendation
Journal
Genetics in Medicine
DOI
10.1038/s41436-021-01170-5
Publication Date
2021-05-19
Link:
https://doi.org/10.1038/s41436-021-01170-5 or as a PDF here https://www.nature.com/articles/s41436-021-01170-5.pdf.
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