Rechtsanspruch auf Kryokonservierung seit 1. Juli 2021

Berlin, 21. Juni 2021 – Im Mai 2019 wurde die Fruchtbarkeitserhaltung für junge Krebspatient:innen per Gesetz zur Kassenleistung. Jetzt, nach mehr als zwei Jahren, wird diese Regelung endlich in der Praxis wirksam.

Krebsbehandlungen können heute mehr als 80 Prozent der jungen Menschen heilen. Sie haben aber oft Unfruchtbarkeit zur Folge. Seit vielen Jahren kann die Aussicht auf eigene Kinder durch das Einfrieren von Spermien oder Eizellen erhalten werden. Im Mai 2019 wurde diese Kryokonservierung per Gesetz zur Kassenleistung.

Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen kündigt im Rundschreiben 2021/414 an, dass dieser Anspruch für Kassenversicherte ab 1. Juli 2021 endlich praktisch umgesetzt wird. Nach der Fertigstellung der Richtlinie durch den Gemeinsamen Bundesausschuss ist jetzt mit der Schaffung neuer Abrechnungsziffern durch den Bewertungsausschuss die letzte Hürde gefallen.

Die Kryokonservierung und alle damit zusammenhängenden Leistungen können ab 1. Juli von den Ärzten direkt abgerechnet werden. Anträge an die Kassen oder gar eine private Finanzierung für das Einfrieren von Eizellen oder Spermien können entfallen.

So einen endlosen Hürdenlauf nicht noch einmal!

„Bei aller Freude über die Ankündigung – unter dem zwei Jahre langen Hürdenlauf haben viele Betroffene massiv gelitten“, sagt Prof. Dr. med. Mathias Freund, Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs.

„Die Fruchtbarkeitserhaltung muss rasch vor dem Beginn der Krebsbehandlung erfolgen. Auseinandersetzungen mit den Kassen und Tausende von Euro selbst zu zahlen – das ist das Letzte, was junge Krebspatient:innen unmittelbar nach ihrer Diagnose gebraucht haben“, ergänzt Prof. Dr. med. Diana Lüftner, Vorstand der Stiftung. „Allein bei uns haben sich seit der Gesetzesverabschiedung mehr als 200 junge Krebspatient:innen mit der Bitte um Hilfe gemeldet“, so Freund.

Für künftige Verfahren dieser Art müssen dringend Konsequenzen gezogen werden, fordert die Stiftung. Eine nachlaufende Regelung ist notwendig. Nach dem Gesetz hätte die sofortige Kostenübernahme sofort nach dem bisherigen Abrechnungsverfahren erfolgen müssen. Innerhalb eines Jahres hätte man dann die Richtlinien und neuen Gebührenziffern erstellen können, um die Finanzierung umzustellen. Bei der Kryokonservierung handelt es sich schließlich um ein in Leitlinien anerkanntes und seit Langem praktiziertes Verfahren.

Es sind noch viele Widerspruchsverfahren und Sozialgerichtsprozesse in Sachen Kryokonservierung offen. „Ziehen Sie einen Schlussstrich und übernehmen Sie jetzt die Kosten in diesen Verfahren als Einzelfallregelung“, appelliert Freund. „Das wäre gut für die Kassen und gut für die Betroffenen“.

Ärzt:innen und junge Krebspatient:innen rasch und umfassend informieren!

Die Erfahrungen der Stiftung haben gezeigt, dass viele Kassenmitarbeiter:innen und auch Ärzt:innen unzureichend über die Finanzierung der Fruchtbarkeitserhaltung informiert sind. „Die Betroffenen selbst können in ihrer Notsituation die Kenntnisse nicht haben“, sagt Lüftner.

„Die Ärzt:innen müssen jetzt rasch über die neue Möglichkeit der direkten Kassen-Abrechnung informiert werden“, setzt Freund hinzu und weist darauf hin: „Das ist auch für die Ärzt:innen sehr wichtig, denn wenn sie aus Unkenntnis ab 1. Juli einen privaten Behandlungsvertrag unterschreiben lassen ohne auf die mögliche Kassenfinanzierung hinzuweisen, könnten sie in Haftung genommen werden.“ Die Stiftung stellt auf ihren Wissensseiten umfassende Informationen zur Verfügung.

Weiter offene Finanzierungsprobleme bei der Fruchtbarkeitserhaltung

„Leider sind mit der neuen Regelung nicht alle Finanzierungsprobleme gelöst“, sagt Lüftner. „So werden die teuren Medikamente für die Eizellkonservierung für Mädchen vor dem 
18. Lebensjahr in der Regel nicht übernommen, ab dem 18. Geburtstag aber schon. Das macht nicht wirklich Sinn und sollte zeitnah pragmatisch gelöst werden.“ Kassen und Kassenärzt:innen hatten sich im Gemeinsamen Bundesausschuss dagegen gewehrt, weil die Zulassung der Medikamente dafür nicht ausreichend sei.

„Ein kaum zu durchschauender Verhau ist die Finanzierung der Kryokonservierung von Eierstockgewebe“, sagt Freund und fährt fort: „Die Konservierung von Eierstockgewebe für Mädchen vor der Pubertät wird noch im Rahmen der Regelungen zu § 27a SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss im Herbst dieses Jahres behandelt werden. Wie das ausgeht, ist offen.“

Verwirrend selbst für Fachleute ist, dass die Kryokonservierung von Eierstockgewebe zur Fruchtbarkeitserhaltung für Frauen und Mädchen nach der Pubertät nicht unter die neue Regelung fällt. Mit diesem führend in Deutschland entwickelten Verfahren kann die natürliche Fruchtbarkeit der Frauen wiederhergestellt werden. Juristisch ist das Verfahren daher eine Krankenbehandlung nach § 27 SGB V.

Das Bundessozialgericht hat vor zehn Jahren eine Finanzierungspflicht der Kassen grundsätzlich anerkannt. Konkret scheiterte es aber daran, dass die Kassen das Verfahren damals als medizinisch nicht anerkannt ablehnen konnten. Das ist auf Grundlage neuer Daten und der erfolgten Anerkennung in der Leitlinie der Fachgesellschaften nicht mehr gerechtfertigt. Die Stiftung unterstützt eine Reihe von Klagen in dieser Sache. Eine Klarstellung des Gemeinsamen Bundesausschusses wäre eine Lösung. Er ist jedoch bisher untätig in dieser Sache.

(Die angegebene Genderform vertritt alle Geschlechter.)

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Urteil AZ B 1 KR 10/09 R vom 17.2.2010; http://openjur.de/u/169605.html

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Prof. Dr. med. Mathias Freund

Weitere Informationen:
Deutsche Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs